- 21 -

Nach Passieren der Fabrikwache führte er uns zur Haltestelle einer
Straßenbahn.Dort standen Damen mit Seidenstrümpfen und Pelzen; wir
rissen unsere entwöhnten Augen auf.Die Tram kam, bis zu den Tritt-
brettern voll von Menschen.Wir wagten uns nicht hinein und sie
fuhr ab.Unser Konvoi wurde wütend und beschimpfte uns, wobei er
mir einen Stoß in den Rücken gab.Ich wehrte mich dagegen und droh-
te ihm mit Meldung.Neuerdings ging er auf mich los.Da mischten sich
mehrere Fahrgäste, die auch warten mußten, ein und nahmen für uns
Partei.Die nächste Straßenbahn trug uns davon.Die Leute musterten
uns aufmerksam, doch nicht feindselig.Bald stiegen wir aus und be-
traten eine Fabrik.Sie hieß "Flugow" und war ein Schwesterwerk
des "Roten Oktober".Ein russischer Kapitän nahm uns in Empfang
und wir beschwerten uns erst einmal gründlich über unseren Führer.Er
nahm sich den Mann vor und von da an hatten wir Ruhe.
Es galt einen großen Saal, dessen Wände und Decke bereits ausge-
malt waren, fertigzustellen.Der Kapitän wünschte einen Blumen-
fries als Abschluß der Wände.Er ließ uns ganz ungeschoren arbei-
ten.Aus Dachpappe fertigten wir uns eine Schablone an, ich zeich-
nete mit Bleistift vor und Ludwig malte mit Farbe hinterher.Unser
Chef war ganz zufrieden, wir auch.So kamen wir als erste aus dem
Lager in die Stadt.
Am nächsten Tag holte uns ein lustiges Mädel ab, es hieß Jelisa-
weta und war sich der Wichtigkeit seiner Aufgabe voll und ganz
bewußt.Wir unterhielten uns gleich ganz nett und Jelisaweta hatte
gar keine Angst vor uns.Das ging so einige Wochen ganz gut, bis
wir keine Arbeit mehr hatten.Im Lager wurde eine Maler-Brigade
zusammengestellt, wir meldeten uns gleich als Maler und Ludwig
wurde Brigadeführer.Alle anderen Mitarbeiter hatten auch keine
Ahnung von der Malerei.
Der erste Auftrag war das Ausmalen des Lagers.Farben und Pinsel
gab es nicht, nur Kalk.Wir zerkleinerten also Ziegelsteine und
rieben sie zu Mehl.Aus alten Bastmatten, in denen Fisch ins La-
ger geliefert wurde, fertigten wir Pinsel.Büchsen und Kübel fan-
den wir auch, da der Fabrikhof mit den Wracks Tausender (*1) deutscher
Wehrmachtsfahrzeuge bedeckt war.Je nachdem man dem Kalk mehr oder
weniger Ziegelstaub zusetzte, gewann man verschiedene Nuancen
einer rötlichen Farbe.Um nicht nur glatte Anstriche zu fabrizieren,
nahmen wir alte Lappen, drehten sie zusammen und tauchten sie in
die Farbe.


(*1) April 2004: Korrektur eines Versehens durch den Autor:
Statt "Tausender" muss es "Dutzender" heissen.



nächste Seite >

< Seite zurück




Titel

Inhalt

Text

Faksimile

Landkarten

Bilder

Autor




< Seite zurück

nächste Seite >