- 22 -

Dann wickelten wir diesen Lappen in unregelmäßigen leichten
Bewegungen über die Wände.Anfangs gab es ein lebhaftes Durch-
einander von kräftigen und schwachen Stellen, doch hatten wir
den Bogen bald raus.Mit dieser neuen Methode, die wir in der
Folgezeit zu hoher Blüte brachten, ernteten wir späterhin noch
viel Lob.
Eines Tages rückte die ganze Brigade, 30 Mann hoch, aus zur
ersten offiziellen Arbeit.Ein großes Wohnhaus in der Nähe des
Lagers war auszumalen.Die Straße hieß Spaskaja.
Es gehörte schon eine Portion Frechheit dazu, einen solchen
Auftrag anzunehmen, aber wenn es ein Land der unbegrenzten Mög-
lichkeiten gibt, dann ist es Rußland.Wir verließen später die-
sen Bau nicht mit Schimpf und Schande, sondern hatten einen
guten Ruf als Maler.
Jedes Stockwerk bestand aus einem langen Gang, in den beider-
seits die Türen zahlreicher Einzelzimmer mündeten.Die Zimmer
waren verschieden groß.Die Gänge wiesen an drei Enden Wohnun-
gen mit zwei kleinen Zimmern und am vierten Gemeinschaftsküche
und -klosett auf.Für jede Familie war ein Zimmer gedacht, die
Größe wurde nach der Kopfzahl bestimmt, wir sahen das Haus spä-
ter auch in bewohntem Zustand. Zwei Treppenhäuser vervollstän-
digten den Bau.
Der russische Meister hielt Werkzeug und Material unter Ver-
schluß.Man kennt dortzulande keine Malerbürsten,sondern runde
Pinsel von etwa lo bis 12 cm Durchmesser, die an langen Stielen
befestigt sind.Mit diesen werden Decken und Wände gestrichen.
Als Leim diente Kasein.Zunächst strichen wir die Decken mit der
Hand.Da wir hier zum ersten Male offiziell mit den Arbeitsnor-
men in Berührung kamen, muß darüber einiges gesagt werden.
Für jeden Beruf gibt es ein mehr oder weniger dickes Buch,das
Normenbuch.In ihm stehen alle, auch die kleinsten Arbeitsvor-
gänge die vorkommen können, mit zulässiger Zeit und errechnetem
Geldbetrag pro Einheit verzeichnet.Die Arbeitsleistung in acht
Stunden muß mindestens l00 % betragen.Sie läßt sich an Hand der
Normen leicht errechnen.Für uns waren die Prozente insofern
wichtig, als wir bei voller Arbeitsleistung zusätzlich 200 g
Brot pro Tag bekamen.Dabei wurde ein Unterschied nach Arbeits-
gruppen gemacht:



nächste Seite >

< Seite zurück




Titel

Inhalt

Text

Faksimile

Landkarten

Bilder

Autor




< Seite zurück

nächste Seite >