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Mehr als uns bewußt war, hatten wir schon von dem Wesen dieses
Volkes in uns aufgenommen und ich kann mir vorstellen, daß ein
Mensch, der jahrelang allein unter Russen leben muß, sehr bald
von ihnen kaum noch zu unterscheiden ist.Mehr als uns bewußt war,
hatte trotz der harten Verhältnisse dieses Land der unendlichen
Weite uns in seinen Bann gezogen.Nur wer selbst dort gelebt hat,
vermag die Stimmung eines russischen Romans voll zu erfühlen.
So gingen die Tage, Wochen und Monate dahin und ein neuer Winter
stand bevor, von uns mit sehr gemischten Gefühlen erwartet.
Im Dezember 1946 trat ein Ereignis von einschneidender Bedeutung
ein: ein Transport von 6oo Mann, diesmal lauter ehemalige Offiziere,
sollte nach Leningrad zum Arbeitseinsatz kommen.Ich meldete mich
freiwillig, um aus dieser Gegend fortzukommen und Neues zu sehen,
und wurde trotz meines mäßigen Körperzustandes angenommen.Eine
Kommission aus Leningrad war da, ihr wurden wir vorgeführt.Nach
dreitägiger Fahrt in verschlossenen Güterwagen lud man uns inmit-
ten einer großen Fabrikanlage aus.Es stimmte, wir waren in Lenin-
grad in der Fabrik "Roter Oktober".



                        L e n i n g r a d



Die gesamte Anlage mit Planken eingezäunt, an den Ecken stan-
den kleine Wachtürme, auf ihnen Frauen mit Gewehr als Posten.Ein
eigenes kleines Lager innerhalb des Fabrikgeländes, mit Stachel-
draht und eigenen Wachtürmen, nahm uns auf.Nur ein einziges Stein-
gebäude befand sich darin.Wir richteten uns ein, so gut es ging.
Zunächst hatten wir 14 Tage Quarantäne.
Mein Freund Ludwig aus München, von Beruf Revierförster, reiste
damals als Maler.Während der Quarantänezeit erhielt er einen Auf-
trag in der Stadt und nahm mich, der ich von der Anstreicherei
noch weniger Ahnung hatte als er, mit.
Ein russischer Zivilist mit Vogelflinte erwartete uns am Lagertor.



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