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Man konnte das an der steigenden Vielfalt der auftretenden Wa-
ren deutlich beobachten. So sah man in den Brotmagazinen herr-
liche Backwaren, vor allem ein großartiges Weißbrot, das aller-
dings durch seinen Preis von 7.5o Rubel für uns selten erschwing-
lich war. Fleisch, Fett und Zucker blieben nach wie vor recht
teuer.
Jeden Tag passierten mehrere Beerdigungen unsere Straße. Meist
saß die engere Trauergemeinde um den Sarg herum auf einem Last-
wagen, der Rest der Trauernden marschierte ungezwungen hinter-
her. Die kleinste Beerdigung, die ich sah, bestand aus einer
Mutter, die auf dem Arm einen winzigen Kindersarg trug.
Die größte eröffnete ein prunkvoller, weißer Totenwagen, von
sechs Schimmeln gezogen, die weißgekleidete Kutscher mit weißen
Zylindern an den Zügeln führten. Hinter dem Wagen gingen einige
Zivilisten, ein General in Uniform und eine Kompanie Stabsoffi-
ziere. Den Schluß bildete ein Ehrenzug Rotarmisten.
Eines Tages hoben wir neue Fundamente aus und stießen dabei auf
die Überreste einer Schmiede. Sensen und Sicheln, verrostetes
Werkzeug und vieles andere kam zutage. Darunter fand ich auch
zwei Töpfe mit Ölfarbe. Unter einer dicken Schicht war sie noch
wohlerhalten und ich beeilte mich, sie in der Mittagspause so-
gleich zu verkaufen. Ich betrat also den Hof eines einzelnen
Hauses und wurde, ehe ich mich versah, von einem wütenden Hund
angefallen und mehrfach gebissen. Dennoch schloß ich meinen Han-
del ab und bat dann erst unseren russischen Prorab ( Vorarbei-
ter ) um etwas Verbandzeug. Er aber rief sofort das Lager an
und schickte mich einstweilen in ein nahes Krankenhaus. Trotz
zahlreicher wartender Patienten wurde ich sofort vorgenommen
und die jüdische Ärztin behandelte mich sehr nett und aufmerk-
sam.
Krankenhausbehandlung ist in Rußland weitgehend kostenlos.
Dann fuhr mich ein Lastwagen, der mit einer Schwester vom Lager
gekommen war, heim.
Drei Wochen arbeitete ich nun vormittags im Lager als Maurer,
nachmittags fuhr ich jeden Tag mit der Schwester oder einem
Wachsoldaten in das Pasteur-Institut in der Nähe des Newski-
Prospekts, der schönsten Straße Leningrads, um gegen Tollwut
eine beachtliche Spritze in den Bauch zu bekommen. Der behan-
delnde Arzt wie auch die dortige Schwester, eine ältere Frau,
waren sehr entgegenkommend.



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