- 61 -

Wie viel er uns zahle , wenn wir es schafften ? Er rechnete
und sagte: "Ihr bekommt hundert Rubel von mir, wenn Ihr recht-
zeitig fertig werdet!"
"Gut!" sagte ich ihm, "aber wenn Du uns nachher betrügst,werden
wir so faul sein wie nie zuvor."
"Nein, Ihr bekommt das Geld ganz bestimmt!"
Wir arbeiteten wie Pferde und er hielt Wort.
Mitten in diese Arbeit hinein platzten Gerüchte, wir würden nach
Deutschland entlassen. Niemand glaubte daran. Doch wurden tatsäch-
lich Vorbereitungen für einen großen Transport getroffen. Die La-
gerbetriebe stellten hölzerne Eßkübel und Schöpfkellen her. Die
Antifa malte zahlreiche Propagandatransparente mit Danksagungen
für den vorzüglichen Kuraufenthalt und Versprechungen an Väterchen
Stalin. Die seit Monaten währende Vernehmungswelle erreichte ihren
Höhepunkt. Eine fieberhafte Aufregung herrschte überall.
Doch wir mauerten immer noch unten am Fluß. Nina war in Urlaub
und wir kämpften weiter um unsere 200 Gramm Zusatzbrot.

Eines Morgens - wir schliefen noch alle - kam einer in die Baracke
und verlas eine Reihe von Namen, darunter meinen.
"Diese Leute gehen heute nicht mehr zur Arbeit!"
Man schrieb Ende September 1949.
Sechs Tage lang wurde eingekleidet, sauniert, vernommen, unter-
sucht, wurden Leute von den Listen gestrichen, Resolutionen an
Stalin entworfen und zur Unterschrift herumgereicht, quälten uns
nachts Scharen von Wanzen.
Dann verließen wir das Lager und bestiegen unsere Güterwagen,
die diesmal offen blieben und weniger dicht belegt waren. Sogar
eine Kapelle begleitete uns, die bei jedem Aufenthalt Scharen von
Russen herbeilockte.
Über Moskau, vorbei an den herrlichen Kirchen von Smolensk, über
Warschau ging die Fahrt nach Deutschland. Nach acht Tagen erreich-
ten wir Frankfurt an der Oder, die Leute winkten mit Bettüchern
aus den Fenstern, uns liefen die Tränen herunter und die Volks-
polizisten schauten uns nicht an.
Am 1. Oktober 1949 kontrollierte der letzte russische Posten unse-
re Papiere an der bayerischen Grenze bei Hof.



nächste Seite >

< Seite zurück




Titel

Inhalt

Text

Faksimile

Landkarten

Bilder

Autor




< Seite zurück

nächste Seite >