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Wir erreichten den Weißen See. Vermutlich heißt er so, weil
er so flach ist, daß man den hellen Grund leuchten sieht.
Er weist eine beachtliche Größe auf, sein Ostufer war zeitwei-
se nicht zu erkennen. Zuweilen hielt unser Dampfer und wir
konnten Beobachtungen anstellen. Am Weißen See liegt der Ort
Belozersk. Mir fielen mehrere recht malerische Kirchen mit
schönen Zwiebeltürmen auf. Dort eingestiegene Russen sagten
mir, es sei nur eine der Kirchen noch in Betrieb, die anderen
dienten als Garagen oder Magazine.
Am Südende des Sees wurden wir auf einen anderen Dampfer umge-
laden. Viele von uns hatten ihre neue Bekleidung schon auf dem
Schiff gegen Lebensmittel umgetauscht und liefen wieder in al-
ten Lumpen umher. Unsere karge Marschverpflegung hatten wir
schon am ersten Tage verzehrt. Es war belustigend zu sehen, wie
die Russen an den einzelnen Stationen, angetan mit unseren neu-
en Uniformstücken, das Schiff verließen.
Die Umgebung unseres Umladeplatzes trug dschungelartigen Charak-
ter. In dieser grünen Wildnis lag ebenfalls ein Kriegsgefangenen-
lager, Tschaika, auch die "Grüne Hölle" genannt. Hier hatten
schon im ersten Weltkrieg deutsche Gefangene gehaust. In der
Nähe lagen russische Straflager, darunter eines für Kinder.Sie
mußten dort arbeiten und die Schule besuchen.
Auf der Scheksna ging es nun weiter nach Süden und es wurde im-
mer deutlicher, daß unser Ziel Tscherepowez sein mußte, das ich
1946 verlassen hatte, in der Hoffnung, es nie wieder zu sehen.
Doch eine Hoffnung gab es: mehrere Kameraden hatten in der Hand
des russischen Leutnants ein Schreiben gesehen, das unsere Namen
enthielt und über dem der Satz stand: "Zur Repatriierung in die
Heimat."
Doch gut Ding will gute Weile haben. Vorläufig saßen wir noch
auf dem Dampfer, unterhielten uns mit den Russen oder spielten
Schach mit ihnen. Die Ufer des Flusses waren leicht hügelig,
selten kamen Siedlungen ins Blickfeld. Riesige Flöße begegneten
uns. Sie bestanden aus vielen Teilen und waren meist Hunderte
von Metern lang. Schlepper zogen sie. Kleine Hütten, vor denen
Feuer brannten, standen auf den Flößen und bargen die Mannschaft.
Besonders abends boten sie ein malerisches Bild. Am frühen Morgen
des 13. Juni 1949 liefen wir in den wohlbekannten Hafen von
Tscherepowez ein und traten den Marsch ins Lager an.
Der Kreis hatte sich geschlossen.



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