- 47 -

Am Westufer über uns erhob sich ein großes und stark einge-
zäuntes Lager mit Stacheldraht und Wachtürmen. In mühseligem
Marsch mit steifen Gliedern erreichten wir schwerbewacht das
Tor und wurden in einer langwierigen Prozedur einzeln einge-
schleust. Das Lager machte einen trostlosen Eindruck, nur ein-
zelne fertige Baracken konnte man sehen.
Man schrieb den 17. September 1948.
Die kommenden Nächte verbrachten wir nicht sehr feudal auf dem
Boden der noch leeren Baracken dicht gedrängt. Es war schon
sehr kalt.
Offensichtlich waren wir in das Verbannungsgebiet zurückgekehrt
und es bestand wenig Wahrscheinlichkeit, noch in diesem Jahr
Deutschland wiederzusehen. Die nächste Eisenbahn mußte mehrere
hundert Kilometer entfernt sein und der Kanal in kurzer Zeit zu-
frieren. Damit war vor Mai des nächsten Jahres an ein Fortkom-
men nicht zu denken.
Die russische Regierung hatte im Sommer offiziell in allen Zei-
tungen verlautbart, bis Ende dieses Jahres werde sie alle Ge-
fangenen ohne Rücksicht auf internationale Vereinbarungen ent-
lassen.
Uns betraf dies offenbar nicht mehr.
Die nächsten Wochen vergingen mit der Einrichtung und Erweiterung
des Lagers. Der Winter stand vor der Türe. Ich arbeitete zu-
nächst im Straßenbau. Wir hatten in einer Kiesgrube Lastwagen
ganz neuer Bauart zu beladen. Das Wetter meinte es noch gut
mit uns. In unserer Nähe lag ein Dorf, wir kamen mit seinen Be-
wohnern in Berührung, als wir die Kiesbettung aufschütteten.
Die meisten waren Volksdeutsche, meist Frauen und Kinder, die
Männer lebten nicht mehr oder waren verschickt. Viele von ih-
nen hatten jahrelang in Deutschland gelebt und gerieten im
Zuge der Räumung Thüringens durch die Amerikaner in russische
Hand. Man brachte sie sehr bald fort.
Sie hatten Grauenvolles erlebt und arbeiteten im hiesigen Säge-
werk. Beiderseits des Kanals in einigem Abstand von ihm er-
streckten sich riesige Wälder, in denen viele Deutsche arbei-
ten sollten.
Der Kanal führt zum Weißen Meer und stellt die Wasserstraße
von Moskau nach Archangelsk dar.
Wir bauten also an unserer Straße, die die Verbindung vom Ka-
nal zum Lager im Winter ermöglichen sollte.



nächste Seite >

< Seite zurück




Titel

Inhalt

Text

Faksimile

Landkarten

Bilder

Autor




< Seite zurück

nächste Seite >