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Man legte sie vorläufig auf dem Hof nieder. Zahlreiche Fenster
öffneten sich und die anderen Patienten bewiesen ihr Mitge-
fühl, indem sie einen Regen von kleinen Liebesgaben über die Armen
unten ergehen ließen.
Glücklicherweise kamen alle gut davon.
Je nachdem es nottat, wechselten wir unsere Arbeit. Zeitweise
fungierte ich als Maschinist an einer großen Betonmischmaschi-
ne, dann wieder arbeitete ich als Zimmermann, errichtete Decken
und Wände aus Balken und Brettern oder nagelte Suckleisten an,
wie ich das früher schon beschrieb. Maurerarbeiten wechselten
mit Erdarbeiten und so verging der Sommer 1948.
Eines Morgens begegneten uns am Fabriktor, als wir unsere Last-
wagen erwarteten, zwei deutsche Schulkinder. Man erkannte sie
sofort als Nichtrussen an ihren Gesichtern und ihrer Kleidung.
Sie waren vor einigen Tagen aus Jena gekommen und wohnten in
unserem Block in der Spaskaja. Der Vater hatte als Facharbei-
ter bei Zeiß gestanden. Eines Morgens hatte man ihnen eröff-
net, sie müßten in wenigen Stunden ihre Sachen gepackt haben
und nach Rußland verziehen. Sie bewohnten zwei Zimmer, der
Vater verdiente gut. Es ging ihnen hier besser, als in der Ost-
zone. In der Schule, die eigens für deutsche Kinder eingerich-
tet war, lernten sie russisch, aber auch deutsch.
Wir alle hatten Tränen in den Augen, als die Kinder davongin-
gen.
In der Folgezeit zogen noch andere deutsche Familien in unse-
rer Nähe ein, auch in der Stadt begegneten uns in zunehmendem
Maße Lastwagen, auf denen deutsche Zivilisten saßen und uns zu-
winkten. Häufig handelte es sich um Ingenieure, die teils frei-
willig, teilweise gezwungen hierher gekommen waren. Bald er-
gaben sich auch Gelegenheiten, solche Leute zu sprechen. Es er-
ging ihnen materiell gut, sie klagten nicht.

Eines Morgens, es war am 8. September 1948, standen wir ab-
marschbereit am Tor, als plötzlich 30 Mann verlesen wurden,
die nicht zur Arbeit gehen sollten. Auch ich gehörte zu ihnen.
In der Lagersauna versah man uns mit frischer Wäsche, wir ba-
deten und mußten unsere Sachen packen.
Niemand wußte oder erfuhr was vor sich ging.
Gegen Abend brachte uns ein Lastwagen unter scharfer Bewachung
zum Newahafen. Zahlreiche andere Gefangenengruppen standen um-
her.



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