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Er war sehr gut gekleidet, trug teuere Walinki mit Lederbe-
satz, blauen Tuchmantel mit Pelzkragen und eine sehr schöne
Pelzmütze. Er war Jude und sprach mit uns sehr ruhig.
Ludwig, unser Brigadier, konnte auch ganz nett in Öl malen
und bekam eines Tages den Auftrag, den Sohn des Oberingenieurs
nach einem Photo zu malen. Er schloß sich also in ein ferti-
ges Zimmer ein und malte darauflos. Die Aufgabe war nicht ganz
einfach zu lösen, da die Vorlage klein und nach Art russischer
Photographien nicht sehr gut war. Ich besuchte ihn von Zeit
zu Zeit, besah mir sein Kunstwerk, kritisierte und suchte zwi-
schendurch nach Läusen, was ich hier ungestört tun konnte.
Eines Tages fragte uns sein Auftraggeber, ob wir das Wickeln
auch mit Ölfarben könnten. Ludwig sah mich betreten an - wir
hatten das noch nie gemacht - aber ich sagte sofort, ja, das
könnten wir auch, und Ludwig bestätigte eifrig. Gut, meinte
der Russe, morgen würde er uns von der Baustelle in seine Woh-
nung bringen lassen, die sollten wir ausmalen wie man in
Deutschland Wohnungen male.
Wir freuten uns natürlich, hofften wir doch auf etwas Zusatz-
verpflegung und konnten sicher wieder ein Stück der Stadt neu
kennenlernen. Im Lager probierten wir abends das Wickeln mit
Ölfarbe. Bald hatten wir heraus, daß man nur ganz wenig Farbe
im Lappen haben darf, dann ging es prima. Tatsächlich holte
uns am anderen Morgen ein schnauzbärtiger, älterer Russe ab
und wir stiegen alle drei in eine total überfüllte Straßen-
bahn. Mit unseren Kübeln, Pinseln und Linealen waren wir bald
restlos eingeklemmt und Herr K., unser Führer, befand
sich schon vorne am Ausstieg, während wir irgendwo hinten
hoffnungslos eingekeilt waren. K. rief: "Aussteigen!"
und stieg aus, wir jedoch kamen nicht schnell genug hinterher
und fuhren allein weiter. Am Witebsker Bahnhof gelang es Lud-
wig, ins Freie zu gelangen, mir aber nicht. Beim nächsten
Halt konnte ich endlich hinaus und stand nun in meinem alten
Soldatenmantel und mit meinen Malerutensilien mutterseelenal-
lein mitten in Leningrad.
Ich bewegte mich in der Richtung, aus der ich gekommen war,
immer an den Schienen entlang und achtete auf die Nummern der
Straßenbahnen, um nicht das falsche Gleis zu erwischen. Viele
Leute schauten mich erstaunt an, vor allem Offiziere, deren



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